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31.08.2015

Leichtathletik WM 2015 in Peking - Rico Freimuth: „Ich war auf meiner Welle“

Ein Zehnkampf wie aus einem Guss wurde am Samstag in Peking (China) für Rico Freimuth (SV Halle) mit einer neuen Bestleistung von 8.561 Punkten – Platz acht der ewigen deutschen Bestenliste – und WM-Bronze belohnt. Im Interview berichtet er von neuen Qualitäten, wunderschönen Momenten und seiner Hochachtung für Weltrekordler Ashton Eaton (USA).

Rico Freimuth (SV Halle)
© Bildnachweis: Matthias Piekacz

Rico Freimuth, hinter Ihnen liegen zwei lange Tage, zehn Disziplinen und ein harter Kampf, der mit Bronze belohnt wurde. Was war der schönste Moment des Zehnkampfs von Peking?
Rico Freimuth:


Das Ins-Ziel-Schmeißen auf den letzten drei Metern. Als Micha [Schrader] im Ziel stand und mich angefeuert hat. Das war der schönste Moment. Aber eigentlich war der ganze Zehnkampf einfach geil. Ich war auf meiner Welle, ich war immer mit den Gedanken bei mir, ich hatte keine Flausen im Kopf. Aber natürlich, sich da die Medaille abzuholen, war schon ganz besonders.

Gab es eine Disziplin, die für diese Bronzemedaille entscheidend war?
Rico Freimuth:

Die 400 Meter waren mein persönliches Highlight. Nach denen habe ich gewusst, dass was geht. Da habe ich gedacht: Es ist alles möglich. Aber da kann man eigentlich alles nehmen. Anfangshöhe Stabhochsprung, 4,60 Meter im dritten Versuch… Ich bin einfach nur stolz darauf, dass ich endlich mal gezeigt habe, was in mir steckt. Dass ich es alles zusammengebracht habe.

Und dabei kamen dann 8.561 Zähler heraus – eine Punktzahl, mit der Sie vorher geliebäugelt hatten?
Rico Freimuth:


Ich hatte mir schon eine Punktzahl zwischen 8.500 und 8.600 zugetraut. Aber das ist immer eine einfache Rechnung, da gibt man einfach die Bestleistungen ein, das hat bei mir 8.811 oder so etwas in dem Dreh ergeben. Ich habe hier in dem Zehnkampf heute und gestern keine einzige Einzelbestleistung gemacht. Aber ich war immer dran. 8.561 ist eine Punktzahl, auf die ich mega-stolz bin. Dass ich die bei einer WM zusammengebracht habe, ist das i-Tüpfelchen. Damit bin ich, glaube ich, sogar in den Top Ten der ewigen Deutschen Bestenliste.

Haben Sie auch während des Zehnkampfs Rechenspiele betrieben? Wussten Sie, auf was es hinauslaufen kann?
Rico Freimuth:


Ich habe nicht ein einziges Mal gerechnet! Ich habe nur ganz zum Schluss geguckt, wo ich stehe. In Götzis war ich nur am Rechnen und Gucken. Diesmal habe ich mein Handy gar nicht hier. Aber ich habe das schon gerochen. Ich habe gemerkt: Da geht was! Ich habe mich zwischendrin gesehen, wie ich heule, wie ich Vierter werde, wie ich Fünfter werde, wie ich im Stabhochsprung versage. Aber das Bestmögliche ist passiert.

Sie haben gesagt, Sie haben sich mit der Medaille einen Traum erfüllt. Waren die zwei Tage mittendrin in der Weltspitze so, wie Sie sie sich erträumt hatten?
Rico Freimuth:


Ich habe mich einfach niemals aus dem Konzept bringen lassen. Ich war immer fokussiert. Ich habe mir immer gesagt: Ich suche meine Chance, und ich werde sie nutzen.

In den abschließenden 1.500 Metern wurde es aber noch mal richtig eng. Gab es Momente im Rennen, in denen Sie dachten: Die Medaille ist weg?
Rico Freimuth:


Ich habe immer auf den Russen geguckt. Und ich habe runtergezählt. 200 Meter vor Schluss habe ich gemerkt: Oh, ich glaube, ich bin 15 Sekunden hinter ihm. Und dann habe ich diesen „Fantasie“-Endspurt hingelegt. Da bin ich wirklich um mein Leben gerannt. In dem Moment hätte alles passieren können. Ich bin auch auf die Zeit stolz. Ich bin ja nicht der Läufer, meine Stärken liegen woanders, das hat man hier ja auch gesehen. Für mich war das ein hartes Stück Arbeit.

Es gab in der Vergangenheit Zehnkämpfe, da haben Sie es nicht geschafft, alles aus sich herauszuholen…
Rico Freimuth:


Ich habe immer gesagt: Wenn ich meine Karriere beende und ich habe nie eine Medaille geholt, dann ist die nicht so richtig fertig. Ich habe einen Vater, der viele Punkte geholt hat [Uwe Freimuth: 8.792 Pkt]. Ich bin schon oft an mir selbst gescheitert. Habe immer wieder nur 8.300 Punkte gemacht, obwohl ich mehr konnte. Das hat mich ziemlich gewurmt. Ich bin froh, dass ich eine Chance gekriegt habe, die ich genutzt habe. Ich bin physisch gar nicht unbedingt besser drauf als in den vergangenen zwei Jahren. Ich bin vom Kopf her einfach reifer.

Sie waren heute hautnah dabei, als ein neuer Zehnkampf-Weltrekord aufgestellt wurde. Was sagen Sie zur Leistung von Ashton Eaton?
Rico Freimuth:


Er ist der Größte aller Zeiten. Er ist der König der Athleten. Und er ist niemand, der einfach nur straight sein Ding macht, er hilft den anderen auch im Wettkampf. Weltrekord, bei einer Weltmeisterschaft – wo es immer komplizierter und anstrengender ist. Davon ein Teil gewesen zu sein und dann auch noch mit auf dem Podium zu stehen, das ist das Größte.

Ihr Trainer Wolfgang Kühne – der auch Michael Schrader, Jennifer Oeser und Cindy Roleder trainiert – hat gerade gesagt, er ist fix und fertig. Wie wichtig war es für Sie, dass er hier zwei Tage an Ihrer Seite war?
Rico Freimuth:


Cindy, Jenny und Micha kamen dazu. Ich bin seit elf Jahren bei ihm. Er ist für mich wie mein Ziehvater. Ich habe mit ungefähr 6.000 Punkten im Jugendbereich bei ihm angefangen. Er hat mich menschlich geformt, er hat mich körperlich geformt, ich bin seine Ziehpflanze. Das ist wie eine Vater-Sohn-Beziehung. Wir haben uns gehasst, wir haben uns geliebt. Ich freue mich, dass ich ihm jetzt etwas wiedergeben konnte. Dass ich jetzt eine Medaille habe. Das ist ein schönes Gefühl, das ich Herrn Kühne zurückgegeben kann.

Und Sie selbst? Fallen Sie jetzt tot ins Bett oder wird noch gefeiert?
Rico Freimuth:


Das Team weiß schon, dass heute alles auf mich geht. Die werden das bestimmt auch ausnutzen. Aber das hat sich das komplette Team, die anderen beiden Jungs, die Trainer – das haben wir uns alle verdient.


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